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Touristenmagnet mit großem Monty-Python-Faktor - Thriller
13.August 2015, 21:16 Uhr
Orlando di Lasso zeigt die Statue am Promenadenplatz in München. Der Rest ist Michael Jackson gewidmet.
Mitten in München haben eingeschworene Fans für ihr Idol Michael Jackson
eine Pilgerstätte errichtet. Doch um den Kultort tobt ein erbitterter
Glaubensstreit.
Man fragt sich an diesem heißen Spätnachmittag doch irgendwann, was wohl
Orlando di Lasso von alledem gehalten hätte. Zum Beispiel davon, dass
sein würdiges Denkmal vor dem Hotel Bayerischer Hof in München seit
sechs Jahren unablässig zu einer schreiend bunten Gedenkstätte für den
Popsänger Michael Jackson umgeschmückt wird. Gut, di Lasso starb vor
mehr als 400Jahren, der Unmut dürfte sich in den Welten, zu denen wir
Sterbliche keinen Zutritt haben, hoffentlich in Grenzen halten.
Jedenfalls wurde das Denkmal eines der größten Komponisten der
Renaissance zweckentfremdet: Alle vier Seiten des Sockels sind mit Fotos
eines der größten Pop-Stars beklebt, Michael singend, Michael lachend,
Michael lockig, Michael chirurgisch stark bearbeitet. Immer: Michael
allein. Blumen, Kerzen, Herzen, Schallplatten, Bekenntnisbriefe sind
streng symmetrisch aufgebaut. Das ist das Werk von sechs Jahren, als
nach dem Tod des King of Pop seine Fans begannen, hier eine Pilgerstätte
für ihn zu errichten. Einfach weil die Statue Orlando di Lassos
gegenüber dem Bayerischen Hof steht. Dort, wo Jackson abstieg, wann
immer er nach München kam.
Die bayerische Staatsregierung, die für das Denkmal zuständig ist, hat
das Spiel immer mitgemacht. Bis zwei Fan-Gruppen sich wegen der
Deutungshoheit über das Mahnmal heillos zerstritten. Deswegen hatte das
Kultusministerium kürzlich gedroht, den Erinnerungsort komplett zu
räumen. Zumindest diese Gefahr ist vorerst gebannt, wie das
Kultusministerium bestätigt. "Wir werden nichts mehr unternehmen, weil
sich die Lage entspannt hat", sagt eine Sprecherin. "Bis auf Weiteres."
Es fällt schwer, nicht an den Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" zu denken und an zwei Widerstandsgruppen
Bis heute ist unklar, wie es zu diesen Streitereien kommen konnte, in
denen wiederholt die Polizei eingeschaltet wurde, Strafanzeigen
eingingen und regelmäßig so martialische Vokabeln wie "bekriegen"
fallen, beispielsweise wenn man mit der Vorsitzenden von MJ's Legacy
e.V. über die Zwistigkeiten spricht. Der Name steht für Michael Jacksons
Vermächtnis e.V.
Was ist eigentlich los, am Münchner Promenadeplatz, der weltweit
einzigartigen Kultstätte für den erfolgreichsten Entertainer und
Exzentriker des späten 20. Jahrhunderts? Auf jeden Fall sind sehr viele
Emotionen im Spiel, obwohl es doch nur darum geht, das Andenken an einen
toten Künstler zu wahren und auf der Webseite um Spenden für kranke
Kinder zu bitten. Und damit ganz nebenbei jeden Tag aufs Neue seine
Kunst und sein Genie zu feiern.
Kompliziert und natürlich komisch, aber im Fall des
Michael-Jackson-Mahnmals gibt es noch eine andere Schwierigkeit: Die
Lage ist sehr unübersichtlich. Kein Außenstehender hat den Durchblick,
was genau die eine Seite der anderen Seite vorwirft. Und während eine
Fraktion offiziell bekannt ist, weiß man von der ominösen anderen
praktisch nichts, nur dass sie verglichen mit der anderen sehr klein
ist. Es fällt schwer, nicht an den Monty-Python-Film "Das Leben des
Brian" zu denken, in dem die Widerstandsgruppen "Volksfront von Judäa"
und "Kampagne für ein freies Galiäa" sich gegenseitig das Leben zur
Hölle machen, obwohl sie sich beide mit großartigem, aber ins Leere
laufendem Enthusiasmus für dasselbe Ziel einsetzen.
"Drei Frauen, ein Mann, das ist die andere Gruppe", sagt Nena Snezana
Akhta, die Vorsitzende von MJ's Legacy e.V. "Mehr sage ich nicht, denn
wenn ich hier Namen nennen würde, könnte mir das als öffentliche
Verleumdung ausgelegt werden." Gerade jetzt wolle sie die zaghaften
Fortschritte und eine geplante Mediationssitzung nicht gefährden. Wenn
sie redet, klingt das ein wenig nach "Abbau der Spannungen" und
"Alleinvertretungsrecht". Jawohl, das alles klingt vor allem leicht
durchgeknallt.
Sogar das Ministerium hat eine "friedliche Koexistenz" gefordert. Aber
bis vor Kurzem galt: "Eine Vermittlung zwischen den Fangruppierungen
nach Auskunft der zuständigen Polizeiinspektion war nicht möglich, da
beide Gruppierungen das alleinige ,Besitzrecht' an dem Memorial
beanspruchten." Die Legacy-Leute sagen, dass sie sich eineinhalb Jahre
von einer anonymen Splittergruppe massiv angefeindet fühlen. "Wir werden
beschimpft und beleidigt, man fordert uns auf, wir sollen uns von dem
Denkmal fernhalten, Bilder werden abgerissen, leere Prosecco-Dosen
einfach in die Buchsbäume hineingestellt, Blumen kaputt gemacht", sagt
Nena Snezana Akhtar an der Poster-Gedenkstätte. Sie trägt ein
Sommerkleid und Schuhe mit funkelnden Paletten, am Handgelenk eine Uhr
mit goldenem Armband. So genau kann sie nicht erklären, was die andere
Gruppe ihrem Verein konkret vorhält: "Am liebsten wäre denen, wenn alles
so bliebe, wie es ist, aber wir verschwinden würden - wir sollen uns
einfach verpissen, sagen die." Nena Snezana Akhta führt mit ihrem Mann
zwei Bäckereien in München, sie ist eine zupackende Frau, aber manchmal
wirkt sie ratlos, wenn sie versucht zu erklären, was sich hier abspielt.
Wer in dem Wirrwarr der Gefühle etwas klarer sehen will, muss sich das
Mahnmal und die Menschen anschauen, die sehr viel Zeit mit der Pflege
und Instandhaltung dieser Bilder- und Blumencollage verbringen. Das
Denkmal für Orlando di Lasso wurde 1849 errichtet (an anderer Stelle
übrigens, das Denkmal wurde elf Jahre später hier aufgestellt). Das
Michael Jackson Memorial wird von Bürgern freiwillig und auf eigene
Kosten seit sechs Jahren liebevoll in Schuss gehalten. Man sollte mit
jemandem wie Mila Bulj sprechen, um zu verstehen, dass all die kleinen
und großen Verrücktheiten im Namen der guten Sache von Menschen gemacht
werden, die sich voll und ganz für etwas einsetzen.
Mila Bujl ist Frührentnerin, nach einem schweren Unfall konnte sie nicht
mehr arbeiten. Die blonde Frau, die mit 19vor mehr als 40 Jahren aus
Serbien nach München kam, ist wie jeden Freitag gegen vier Uhr zum
Mahnmal gekommen. Sie hat frische Schnittblumen mitgebracht, zwei Bünde
rosafarbene und gelbe Lilien. Sie kommt nicht jeden Tag her. Aber sie
wechselt sich mit anderen Vereinsmitgliedern ab, die in drei Schichten
jeden Tag nach dem Rechten sehen. "Es ist immer jemand da", sagt Mila
Bulj. "Nur nicht nachts." Sie sagt das mit einem entschuldigenden
Lächeln, als sei das ein schweres Manko. Denn ein wichtiger Vorwurf ist,
dass die andere Gruppe nachts weggeräumt habe, was ihnen nicht gefallen
hat. Das Lächeln gewinnt an Festigkeit, als sie sagt, dass sie manchmal
genug Zeit hat, um fünf Stunden hier zu sitzen. Am Freitag, wenn sich
der Verein trifft, bleibt sie oft bis 22 Uhr.
Ihre Verehrung für Michael Jackson hängt sicher mit seinem Talent
zusammen, noch mehr aber mit seinem schwierigen Leben. Nach der
Todesnachricht erfasste sie eine große Traurigkeit, die sie nicht mehr
losließ. Der frühe Tod, vor allem aber die Tatsache, dass "er am Ende so
verfolgt wurde, mit all den hässlichen Vorwürfen haben mir so unendlich
leid getan für ihn".
Michael Jackson, ein Opfer seines Ruhms, allein und unverstanden - Mila
Bulj fühlt sich voller Inbrunst in die Seele des King of Pop ein. Als
sie ihr Lieblingsfoto am Sockel zeigt, "das seinen ganzen Schmerz
ausdrückt", kämpft sie augenblicklich mit den Tränen und muss aufhören
zu sprechen. Dass sie einen Tag nach seinem Tod am 25. Juni2009 zum
Denkmal kam, wo Unbekannte ein paar Kerzen aufgestellt hatten, hing wohl
auch mit ihrem eigenen Schicksal zusammen, der schwere Unfall und das
Scheitern ihrer Ehe machten ihr zu schaffen. Trost findet sie bis heute
an diesem Mahnmal.
Es steckt viel Emotion in der Verehrung, in der ungebrochenen Hingabe an
einen Mann, den keiner aus dem Verein je persönlich kennengelernt hat.
Der resoluten Nena Snezana Akhtar hat es besonders "die grenzenlose
Kinderliebe", die sie in Jacksons Augen entdeckte, angetan und bewogen,
den Verein zu gründen und an dieser Stelle das Andenken an den King of
Pop zu bewahren. Als im Januar ein verheerender Sturm wütete, sind sie
nachts bei Windstärke 10 hergefahren, um die Bilder, die Briefe, die
Blumen und Briefe in Sicherheit zu bringen.
Besuchergruppen scharen sich ums Denkmal, in einer schönen Mischung aus Amüsement, Staunen und Ehrfurcht
Ach, es könnte alles so schön sein bei diesen selbstlosen Einsätzen -
wäre da nicht diese gegnerische Gruppe. Prosecco trinkend säßen sie auf
der Wiese, um dann irgendwann Streit zu suchen. Ihre Erklärung dafür
ist, dass diese Leute eifersüchtig seien auf die Beachtung, die das vom
Verein gestaltete Memorial finde - und damit natürlich auch der Verein.
"Wie viele Leute zu uns kommen, uns ansprechen, sich bei uns bedanken."
Wer kümmert sich am besten? Wer ist für Michael da? Fällt so ein
bisschen Jackson-Ruhm auf die Jünger?
Auch an diesem Nachmittag scharen sich regelmäßig Besuchergruppen um das
Denkmal, in einer schönen Mischung aus Amüsement, Staunen und
Ehrfurcht. Und immer wieder entwickeln sich Dialoge wie dieser, wenn
Mila Bujl mal wieder am Denkmal weilt, weil sie gerade ein Bild
zurechtrückt oder frische Blumen hinstellt.
"Warum ausgerechnet hier?", begehrt eine von zwei Damen aus Schwäbisch
Hall zu wissen. "Das ist doch das Denkmal eines anderen Mannes!"
Hilfsbereit klärt Mila Bujl sie über die Hintergründe auf.
"Er war ja ein Supermusiker." Die Dame aus Schwäbisch Hall blickt streng zu Mila Bujl. "Allerdings auch sehr umstritten."
"Das sind Lügen. Das geschieht immer, wenn Neid und Missgunst
zusammenkommen", entgegnet Mila Bujl, der im Vorstand des Vereins das
Fachgebiet Denkmalpflege obliegt. "Er war ein armer Mensch! Gejagt von
der Presse und den Fans."
Die Frauen sehen die beseelte Mila Bujl schweigend an. Dann ziehen die
beiden weiter. Mila Bujl schaut versonnen auf das Denkmal. "Manche Leute
sagen zu mir, wenn ich hier stehe: Du blöde Kuh, warum putzt du das
Grab dieses Kinderfickers?"
Sie hebt seufzend die Schultern, als wäre damit alles über die Schlechtigkeit der Welt gesagt.
Das sind so die Dramen, die sich zu Füßen von Orlando di Lasso
abspielen. Immerhin, diese zweckentfremdete Berühmtheit war auch
Musiker. Tonsetzer war er, wie die Inschrift auf dem Denkmal verrät. Und
ein Kind, das es nicht leicht hatte. Weil er eine wunderschöne Stimme
hatte, wurde der Chorknabe seinen Eltern von einem mächtigen Fürsten
weggenommen. Da also ein Kinderstar, der Willkür seines Förderers
ausgeliefert - dort der Wunderknabe aus der Jackson-Familie, die
diktatorisch vom Vater zum Erfolg getrieben wurde. Und noch etwas haben
di Lasso und Michael Jackson gemeinsam: Auch di Lasso war ein
Multitalent, er war Komponist und Kapellmeister, als der er an den Hof
Albrechts V. von Bayern nach München geholt worden war, er war
Schauspieler und Regisseur. Di Lasso, der Mann für die große Bühne.
Da kann ja ab und zu ein bisschen Theater am Denkmalsockel nicht schaden.