ich weiß bei manchn Artikeln, so wie bei folgendem, nicht wo ich sie posten soll. Sie sind jetzt nicht so "weltbewegend" dass ich einen neuen Thread für sie eröffnen würde - aber interessant trotzdem finde ich. Dieser Thread soll diesen kleinen Artikeln ein Zuhause bieten;D
Hey Hitler. Studentenfilmtage (4)
Von Piper Alpha
Ein nackter Mann tanzt vier Minuten lang zu einem unverständlichen Gebrummel. Die Schritte kommen einem irgendwie vertraut vor. Die Bilder wirken stroboskopartig zerhackt. Ich versuche herauszubekommen, was uns der Künstler auf den 36. Potsdamer »Sehsüchten« damit vielleicht sagen will, und erfahre Erstaunliches. Man hätte zwei Wochen lang daran gedreht, verrät mir Darsteller und Regisseur Karl Tebbe von der Fachhochschule Dortmund, der für die Übung eine »Eins« bekam, und weil die Kamera kaputt ging, noch mal zwei weitere Wochen. Das Ganze ist in Stop-Mo tion Technik aufgenommen, Frame für Frame. Der Künstler hat, weil er ein bißchen schüchtern beim Tanzen ist, und weil er eigentlich gar nicht tanzen kann, die komplette Michael-Jackson-Choreographie zu »Billy Jean« in Einzelbildern nachgestellt, und aus rechtlich-finanziellen Gründen mußte er sich anschließend von einem Doktor der Psychologie und Jazzer eine neue Musik darüber legen lassen, um das Werk überhaupt der Öffentlichkeit weihen zu können.
Mich erinnert das Ganze an Ausstellungen mit abstrakter Malerei, wo man erst mal das Schild lesen muß, um dann erschüttert zu erahnen, worin eigentlich die Kunst besteht. Kopfschüttelnd frage ich, wie man so viel Energie in ein so absurd hoffnungsloses Projekt stecken kann, und der Meister antwortet mir: »Wenn man einen Traum hat und eine Obsession, dann hält man das gerne aus.« Ehe ich völlig überheblich und sarkastisch werde, fällt mir ein, mit welcher Ergriffenheit ich und Millionen anderer Zuschauer in »American Beauty« sechs Minuten lang einer fliegenden Plastetüte zugeschaut haben. Irgendwo fängt Kunst nun mal an.
Noch ein Level abgedrehter, aber dabei mitten in der Realität, kommt der Protagonist eines deutsch-iranischen Dokumentarfilms daher. Es geht um einen ansonsten biederen und schlichten Familienvater und Fliesenleger, der seinen Sohn gegen alle nur erdenklichen Widerstände unbedingt »Hitler« nennen wollte, aus tiefer Verehrung für den deutschen Diktator. Die HFF-Producer Urte Fink und Michael Dupke haben mit ihren Teheraner Studentenkollegen insgesamt sieben sehr verschiedenartige bilaterale Kurzfilmprojekte verwirklicht, von denen »Hey Hitler« wahrscheinlich der verstörendste ist. Ob bei dem seltsamen Papa Antisemitismus die treibende Kraft ist, oder ob er einfach nur die falschen Filme gesehen hat, wird nicht ganz klar, aber es beruhigt, daß das arme Kind vier Jahre lang ganz ohne offiziellen Namen aufwuchs und öffentlich nur »Junge« oder »Sohn« genannt wurde, weil das Standesamt eine rechtskräftige Eintragung verweigerte. Und es kommt noch besser: Während der Vater wie besessen darum kämpft, den Jungen gegen seinen Willen vor die Kamera zu kriegen und sogar auf der Straße andere Kinder zu casten versucht, die seinen Sohn notfalls spielen sollen, hat die Mutter inzwischen Tatsachen geschaffen und ihn kurzerhand »Benjamin« genannt, wie einen der zwölf Stämme Israels, was hebräisch ist und laut Wikipedia soviel wie »Sohn meiner rechten Hand« heißt.